Dienstag, 31. März 2020

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Gute Serie, großartige Kritik eines Prinzen im Filmdienst:

»Schöne Seelen, große Gefühle! Edle Damen und kernige Kerle, feiner Zwirn und raues Kattun, gesellschaftliches Upstairs and Downstairs: Julian Fellowes als Showrunner gelingt – wieder einmal! – ein unterhaltsamer und in Teilen ordentlich spannender Überraschungserfolg mit seiner epischen Erkundung der Anfänge des Fußballspiels auf der Insel: „The English Game“. Im Verlauf der sechsteiligen Dramaserie erweist sich die Wahl des Stoffes als probates Vehikel, auch ungeahnte weitere, Fellowes stets besonders am Herzen liegende Themen künstlerisch darzustellen: das englische Klassen- und Ständesystem im Herbst seiner Wirkmächtigkeit gegenüber einem ‚Frühling‘ der Frauen, die in einer Männergesellschaft vieles in die eigene Hand nehmen (während die Jungs den Ball kicken), schließlich, von ferne, eine Beleuchtung auf die zu Ende des 19. Jahrhunderts rapide sich verändernden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen im Lande. 

Im Anfang war das Spiel. Und das Spiel war beim Herrn. Und der Herr machte das Spiel – und seine Regeln. Diese Herren waren englische Gentlemen, Studenten angesehener Universitäten, junge Unternehmer, mit ausreichenden Mitteln und viel Freizeit, und sie gründeten 1863 die Football Association, den ersten Verband jener Herrenclubs, die man sich durchaus nach dem Bilde der gesellschaftlichen Clubs in England denken darf. Dort wurden auch fundamentale Fußballregeln erstmals kodifiziert: vor allem der Amateurstatus der Spieler sowie der Grundsatz des Fair Play. Fußball und Geld? Fußball um des schnöden Lohnes willen, mal hier, mal dort? Shocking! Wie ferne war das der Vorstellungskraft jener Leisure Society: o happy days! Aber auf jedes Goldene Zeitalter folgt eines von Erz, früher oder später ... Julian Fellowes schildert in „The English Game“ präzise den historischen Moment, in welchem der Fußball von einem Zeitvertrieb der feinen Gesellschaft (auch) zu einem emanzipatorischen Mittel der Selbstermächtigung der arbeitenden Klasse wurde – und hier tritt der Tauschwertcharakter des Geldes auf den Plan. 

Die Serie erzählt diese Entwicklungen entlang den Lebenslinien eines Heldenpaares (und seiner Familien), das – so unterschiedlich die beiden von Herkunft und Wesensart auch sein mögen – eine glühende Liebe zum neuen Spielsport eint – und der Wille, diesen echt und authentisch zu erhalten. Arthur Kinnaird (Edward Holcroft) ist der junge, blendend aussehende und einnehmende Sproß einer Bank- und Baumwolldynastie (obligatorischer Wermutstropfen: ein gestrenger Vater), frisch, doch nicht gänzlich konfliktfrei verheiratet mit Alma (Lady Marys zahmere Schwester: Charlotte Hope), der jede freie Minute (und er verfügt über viele davon!) mit seinen Kompagnons im Fußballclub „Old Etonians“ oder, lieber noch, auf dem Rasen verbringt. Fergus Suter (Kevin Guthrie), aus ärmlichem, gewalttätigem schottischen Elternhause, zieht als Lohn- und Wanderarbeiter nach Darwen, Lancashire, wo er sich in der Spinnerei von James Walsh (Craig Parkinson) schnell einen Namen macht – als fähiger Arbeiter und als wohl talentiertester Fußballspieler seiner Tage! Die englische Clubmeisterschaft des Jahres 1879 geht in ihre entscheidende Phase, und Walsh ist entschlossen, es den leicht hochnäsigen Pfeffersäcken im Süden des Landes (für die jene im Norden kaum mehr als Wilde sind) einmal richtig zu zeigen; dazu, so stellt sich heraus, hat er Suter und seinen treuen Sancho Pansa Jimmy Love (James Harkness) mit einer erklecklichen Ablöse zum Darwen FC gelotst – entgegen damals geltendem Reglement. Dergleichen kann nicht folgenlos bleiben ... 

Man muss Julian Fellowes formale Meisterschaft bewundern, mit welcher er in der Exposition der Serie sämtliche relevanten Themenentwicklungen und neuralgischen Punkte erzählerisch glaubwürdig und involvierend darbietet: Die Zuschauer werden – immer wieder auch während packender Spielszenen – Zeugen des so harten wie fairen englischen Nationalsports in seinem Werden, von edlen Amateuren und ersten Söldnern des Sports, von frühem Starkult um einige Ausnahmespieler und fanatischen Ultras, denen das Spiel den Sinn des Lebens ersetzt, und immer wieder des Gegensatzes von „Brot und Spielen“, von Sport und Geschäft, Fußball und Geld ... Fellowes und sein Team lassen einen den historischen Hintergrund und Nutzen elementarer Fußballregeln verstehen; ja, die Serie taugt sogar als gut gemachtes Anschauungsmaterial zur Geschichte des Stellungsspiels: Das alles ist sauber herausgespielt. Und spätestens, als sich abzeichnet, dass die Meisterschaft sich zwischen Kinnairds Gentlemen-Riege und der Arbeitermannschaft Blackburn, zu der Suter mittlerweile gewechselt ist, entscheidet, wird auch das leidige Geldthema erneut virulent. Je professioneller der Sport betrieben wird, desto essenzieller sind Trainingszeiten, Verpflegung und allgemeine „Beinfreiheit“ der Spieler – eine Frage fairer Entlohnung. Die in der Serie leicht erpresst wirkende Versöhnung der Klassen, auf dem sportlichen wie dem gesellschaftlichen Spielfeld sozusagen, – in jener Zeit schien sie durch den Fußball realisierbares Ideal. 

Kein Zweifel: Hier waren Kenner und Liebhaber des Sports mit Leidenschaft am Werk, und „The English Game“ überzeugt auch vollends, wann immer es darum geht, den Ball ins Rollen zu bringen. Dass die Verbindung der zwei Haupthandlungsstränge, darunter einer um die prägende Macht von Herkunft, Ehe und Familie, nicht gänzlich bruchlos gelingt und sich die Serie in dramatischen Momenten einer süßlich-soßigen Musik zur Emphase bedient, fällt da gar nicht weiter ins Gewicht. Eine Empfehlung nicht nur für in der Wolle gefärbte Fußballfans, sondern für alle Genießer gut geschriebener, origineller Historiendramen englischer Provenienz, die im Gewande der Vergangenheit nur unsere wüsten Zeiten (auf dem Felde und jenseits) besser zu verstehen helfen – nötiger denn je!